Heute möchte ich Ihnen und Euch eine Übung vorstellen, die nach einem etwas längeren beruflichen Seminar oder einer Tagung oder auch einem privaten Treffen zum Ende eine strukturierte Rückschau auf die gemeinsame Zeit ermöglicht.
Es geht nicht um eine Wanderung durch eine schöne Landschaft wie das Bild suggeriert, sondern um einen inneren Weg der Rückschau auf die vergangenen Tage und des Ausblicks auf die kommenden.
Das Tal des Abschieds dient dem „Punktsetzen“, dem Bewusstmachen und Reflektieren einer Situation, die die TeilnehmerInnen an unterschiedlichen Punkten „erwischen“ kann.
Der/die eine oder andere möchte noch bleiben, ist noch emotional und gedanklich mitten im Thema vertieft; wird vielleicht auch zu Hause noch nicht erwartet … kurz: könnte noch mehr Gruppe gebrauchen. Für andere ist das Treffen jetzt fast schon „gelaufen“, sind die Gedanken vielleicht schon auf der Rückfahrt und bei der Familie zu Hause.
Hier ermöglicht und unterstützt das Tal des Abschieds den Transfer von der Situation zu Beginn des Seminars über die Inhalte der Tage bis hin zur aktuellen Situation kurz vor Ende:
– Was nehme ich von den Inhalten und Eindrücken mit?
– Was will ich davon anwenden/umsetzen?
– Was war unschön und kann ich hier lassen?
– Wie war die Zeit für mich?
Sie kennen das ja vermutlich zum Ende hin aus verschiedenen Seminaren, die Sie besucht haben…
eilig werden die Zimmer geräumt und die Koffer gepackt, die Getränke bezahlt und häufig werden jetzt Adressen und Handynummern mit den neuen KollegInnen oder Bekannten ausgetauscht. Meiner Erfahrung nach dient das oft dazu, den kommenden Abschied zu erleichtern. Diese Adressen werden nach einigen Wochen meist bedeutungslos oder es kommt nur zu einer kurzen und selten dauerhaften Kontaktaufnahme.
Natürlich bestätigen auch hier einzelne Ausnahmen die Regel. Meine Frau habe ich so auf einer Bildungsreise in den Allgäuer Alpen um Oberstdorf vor 28 Jahren kennengelernt. Da blieb es nicht nur beim Adressentausch, vor zwei Monaten war Silberhochzeit!
In festen Gruppen, wie einem Berufsverband, werden gemeinsame Arbeitsprojekte von KollegInnen verabredet oder Ideen für das nächste Jahrestreffen erörtert.
Das Tal des Abschieds, Zum Vorgehen, Einsatzmöglichkeiten:
Sie brauchen eine große Fläche, auf die während der Auswertungseinheit Moderatorenkarten abgelegt werden. Der Fußboden oder zusammengestellte Tische bieten sich dafür an. Am besten haben Sie eine große Rolle Papier zur Verfügung, viele Seminarhäuser halten diese vor. Darauf werden die Stationen des „Tal des Abschieds“ in Form eines Tales mit einem engen Eingang und Ausgang aufgemalt. Wenn es kein großes Papier gibt, können die einzelnen Stationen des Tales mit DIN-A4-Blättern markiert werden und mit Schnur oder Klebeband wird die Form des Tals markiert.
Wichtig ist der Platz. Sie können eine Fläche von 2 x 5 Metern oder mehr gut füllen, je nachdem wie groß die Gruppe ist. Ich habe das mit 20 TN einer einwöchigen Bildungsurlaubsreise in die Alpen gemacht oder mit ca. 45 KollegInnen eines Jahrestreffens meines Berufsverband zum Abschluss des Wochenendes. Es geht aber auch mit nur 8 – 12 Teilnehmenden, zum Beispiel am Ende einer mehrjährigen Ausbildung. Hier ist die Länge der Zeit, auf die Sie gemeinsam zurückblicken, wichtiger als die Zahl der TN!
Eine Kollegin hat die Übung auch einmal zur Jahresabschluss-Klausur einer jungen und schnell wachsenden IT-Firma mit inhaltlich etwas veränderten Stationen verwendet und die Ergebnisse dann fruchtbar in die Moderation der Planung des kommenden Jahres integriert.
Sie legen die einzelnen Stations-Blätter an den vier Ecken aus oder malen diese auf das große Papier:
– Station 1: „Wie bin ich hergekommen?“ (Gefühle, Gedanken, Erwartungen, Wünsche, Befürchtungen) an den Anfang nach links.
– Station 2: „Was war hier, was ist passiert?“ (Themen, Angebote, Leitung, Struktur, Tagungshaus) oben ins Tal
– Station 3: „Höhle des Unrates“ Was lasse ich da? (Unschönes, Konflikte, Überflüssiges) unten ins Tal.
– Station 4: „Was nehme ich mit?“ (Anregungen, erste Ideen, Vereinbarungen, Veränderungen) an den rechten Ausgang des Tals.
Weitere Materialien wie die Moderatorenkarten und Stifte legen Sie dazu. Je nach Inhalt des Seminars können Sie auch Kerzen und Musik bereithalten. Etwa zum Ende einer therapeutischen oder musischen Ausbildung.
Es geht los…
Bitten Sie die TeilnehmerInnen, sich Moderatorenkarten zu nehmen und passend zu den Fragen der einzelnen Stationen zu beschriften. Bei Bedarf können die TN natürlich während der gesamten Übung weitere Karten nehmen. Pro einzelner Äußerung bitte eine ganze Karte nutzen. Sie können einen Begriff oder einen Satz auf jeweils eine Karte schreiben, die eine Idee, eine Stimmung, eine Kritik, ein Lob, ein Aha-Erlebnis usw. ausdrücken. Diese Karten werden später gemeinsam an den vier Stationen abgelegt.
Die Zeit des Aufschreibens kann 15 Minuten und länger betragen. Das kann am Anfang etwas zögerlich beginnen, aber kommt dann nach meiner Erfahrung immer in Gang. Hilfreich ist, vor Beginn die TeilnehmerInnen zu bitten, die Augen zu schließen und von der Anreise an bis zum aktuellen Zeitpunkt noch einmal die vergangene Zeit zu durchlaufen und nachzuspüren.
Auf Ihr Zeichen hin werden die Karten gemeinsam an den vier Stationen abgelegt. Durch die Größe der Fläche kommt die Gruppe in Bewegung, um alle Karten zu verteilen und die der anderen TN zu lesen. Es entstehen Gespräche untereinander zu den einzelnen Aussagen auf den Karten und sind oft recht anregend und aufschußreich. In der Zeit, während die Karten ausliegen, können einzelne TN weitere Karten schreiben und dazulegen.
Nach einer halben Stunde des Anschauens und der Gespräche – so lange sollten Sie einplanen – werden die Moderatorenkarten eingesammelt und der Boden oder die Tische leer geräumt. Wer will, darf seine/ihre Karten mitnehmen, ansonsten sind diese eine gute Grundlage für die eigene Auswertung. Heutzutage sind natürlich auch schnell ein paar Bilder der einzelnen Stationen mit dem Smartphone gemacht.
So dauert die ganze Übung ca. eine Stunde mit Vorbereitung. Die Teilnehmenden können über diese Einheit miteinander ins Gespräch kommen und die kommende Auflösung des Gruppenzusammenhangs ist jetzt gegenwärtig. Möglicherweise haben sich jetzt schon erste Ideen der Umsetzung der Seminarinhalte im kommenden Alltag verfestigt.
Wenn Sie diese Übung am letzten gemeinsamen Abend machen (etwa bei einem Bildungsurlaub vor der Abreise am nächsten Morgen), knüpft der „gemütliche Teil“ des Abends nahtlos an die Einheit an und muss nicht extra organisiert werden. Bei Bedarf können Sie einzelnen TN noch für ein Einzelgespräch zur Vergügung stehen.
Ziel des Tal des Abschieds ist es, mehr die persönliche Seite des Abschieds anzusprechen und weniger die inhaltliche Seminarkritik. Die sollte schon vorher erfolgt sein. Probieren Sie es doch bei Ihrem nächsten Seminar aus, falls die gemeinsam erlebte Zeit dazu passt. Es sollten schon zwei Tage/Nächte gewesen sein. Für ein Tagesseminar ist es zu umfangreich und wirkt dann eher aufgesetzt.
Ich habe das „Tal des Abschieds“ selbst vor vielen Jahren bei einem Methodenseminar des Landesinstituts für Erwachsenenbildung NRW in Soest kennengelernt und verändere es auf meine Bedürfnisse hin (zum Beispiel die Inhalte der einzelnen Stationen) bei jedem Einsatz ein wenig.
Jetzt freue ich mich auf Ihre und Eure Rückmeldungen. Vielleicht möchten Sie berichten, welche Erfahrungen Sie mit dieser Übung machen. Oder Sie haben eine ähnliche Übung, von der sie erzählen möchten.
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Fotos: Tal gegen die Sonne: jplenio/pixabay.de, alle anderen: Winfried Wershofen