Kürzlich ging eine Meldung durch die Presselandschaft, dass ein Düsseldorfer Gastwirt ein Schild vor einem umzäunten Bereich seines Biergartens aufstellte. Darauf wurde Kindern und Hunden den Zutritt verwehrt; also eine kinder- und hundefreie Ruhe-Zone errichtet. Vorausgegangen waren „Exzesse“ einzelner Kinder, die ohne Eingreifen der zugehörigen Eltern den Gastwirt und andere Gäste regelrecht tyrannisierten oder Hunde, die „stundenlang“ ohne Eingreifen der Besitzer bellten.
In mehreren Interviews sagte er zur Begründung.
“ Das Schild gefällt mir auch nicht. Ich habe selbst drei Kinder. Aber so ging es einfach nicht weiter. Naja, es gibt immer mehr Eltern, die sich einfach nicht um ihre Kinder kümmern. Da ist das Befüllen von Aschenbechern mit Sand und das Anzünden von Palmen ja noch Gedöns….. Letztens stand ein Kind bei uns mitten in der Küche. Neben der heißen Fritteuse. Ich habe mich von dem Kind zu seiner Mutter führen lassen und alles, was die Mutter sagte, war: „Naja, ich muss ja auch mal in Ruhe essen“.
… Ich möchte es mal so sagen: Zehn bis 20 Prozent der heutigen Eltern kotzen mich extremst an… Ich kriege … einen Hals, wenn Eltern ihr Kind nicht in die Schranken weisen. Wir haben hier so eine Terrasse mit Liegestühlen, da kann man sich entspannen. Und was machen einige Eltern? Sie fangen an, ihrem Kind auf der Terrasse Fahrradfahren beizubringen. Ohne schlechtes Gewissen. Nebenan haben wir Sand aufgeschüttet. Da lassen diese Eltern ihre Blagen ziemlich rücksichtslos Fußball spielen…. Manchen Eltern ist alles scheißegal und wenn man sie drauf anspricht, werden sie noch pampig. „Entschuldigen Sie, Ihr Kind baut gerade eine Matschburg auf dem Tisch.“ – „Ja und? Die machen wir später weg.“ – „Aha. Lassen Sie Ihr Kind daheim auch Matschburgen auf Tischen bauen?“
Zwei der Interviews finden Sie hier.
Wie kommt es, dass selbst in einer Stadt wie Düsseldorf, die ich spontan außer mit den Toten Hosen und der Fortuna vor allem mit Geld, Mode und Etikette verbinde, die Sitten so verludern, wie man es eher aus Berliner Problemvierteln vermuten würde?
Anlass für mich, das Thema Grenzen in der Erziehung etwas zu beleuchten.
Für die Grenzenlosigkeit der in den Interviews erwähnten Eltern kann es verschiedene Gründe geben:
- Sie würden ja gerne, haben es aber selbst einfach nie gelernt und/oder nicht die Ausdauer, ihren Kindern immer wieder die nötigen Grenzen zu setzen. Die Kinder haben schon früh das Sagen, es gibt keine klaren elterlichen An-Sagen (mehr). Es gibt kein Machtvakuum, die Kinder werden zu kleinen „Tyrannen“, wie es der Bonner Kindarzt Michael Winterhoff in mehreren Büchern beschreibt.
- Sie können „eigentlich“ mit Grenzen umgehen, aber haben Angst, ihren „Schatz“ damit zu sehr in seiner/ihrer freien Entfaltung zu behindern. „Und die anderen Gäste sollen sich mal nicht so anstellen.“ Im Biergarten werden die nötigen An-Sagen dann stegum an die anderen Gäste oder den genervten Gastwirt delegiert.
- Grenzen sind für sie etwas Verpöntes, verbunden mit mangelndem Respekt und fehlendem Gefühl für gemeinschaftliches Leben sowie einen rüden Egoismus („Mein Interesse und Bedürfnis geht vor allen anderen“). Zu dieser Blasiertheit wurde in Berlin bei einem ähnlichen Konflikt um zu viele Kinderwagen in engen Cafes vor einigen Jahren der abschätzige Begriff „Latte–Macchiato–Mütter“ geprägt.
Welche Gründe es nun auch genau sind….., ich würde gerne die Notwendigkeit von Grenzen im alltäglichen Miteinander und in der Kindererziehung bekräftigen.
Grenzen strukturieren Raum, Zeit oder auch unsere Beziehungen untereinander. Sie schützen den physischen und psychischen Eigenraum vor unerwünschten Übergriffen von außen. Zu starre Grenzen – das ist mir auch bewusst- können natürlich auch Veränderungen und Enzwicklungen spürbar und nachteilig behindern.
Grenzen geben uns allen vor allem Orientierung. Sie machen uns zu einem Individuum. Ich bin ich und du bist du, dieses trennt und jenes verbindet uns. Wenn wir diese Grenzen nicht empfinden (können), wird es problematisch, im schlimmsten Fall psychotisch. Wenn Grenzen zu starr oder zu durchlässig sind oder permanent subtil oder rücksichtslos übertreten werden, sind psychische und soziale Störungen –wie in unserem Beispiel gesehen – die Regel.
Das kleine Baby kennt diese Grenzen noch nicht, es kennt nur die Symbiose zur Mutter oder Vater und sieht diese in den ersten Monaten als eine Verlängerung seines Ichs. Es gibt nicht mein und dein Bein, sondern alles gehört mir. Im Lauf eines normalen Aufwachsens entwickelt das Kind ein Gefühl dafür, dass die Eltern (und andere Menschen) eigene Menschen mit eigenen (Körper-)Grenzen sind, mit eigenen Bedürfnissen und oft auch konträren Meinungen.
Die Grenzen, die die Eltern setzen, helfen bei der eigenen Orientierung des Kindes, was ist gut und schlecht, was ist erlaubt und was nicht, wann geht’s ins Bett und wie viel Schokolade ist zuträglich. Die Grenzsetzung der Eltern in der Erziehung helfen dem Kind eine eigene stabile innere psychische Struktur herauszubilden. Auch wenn wir uns dafür bei unseren Kindern auch immer mal wieder unbeliebt machen müssen.
Wie Freud es damals schon postulierte: Gewähren lassen und versagen, um eine gesunde und auch notwendige Frustrationstoleranz zu entwickeln. Im Düsseldorfer Beispiel hieße das, „mein liebes Kind, wir sind hier nicht alleine, sondern müssen mit den anderen Gästen (und dem Gastwirt) eine verträgliches Auskommen finden“. Dazu braucht es, diese „Grenzkonflikte“ auszutragen, wenn die jeweiligen „Hoheitsgebiete“ aufeinander treffen. Etwas, was scheinbar für einige der grenzenlosen Eltern unnötige Zeitverschwendung ist oder sie eben schlichtweg überfordert.
Bedauerlich ist dabei, sie tun ihren Kindern keinen Gefallen mit diesem Verhalten oder besser formuliert Nicht-Verhalten. Denn wenn unsere Arbeitswelt in den nächsten Jahren nicht ins Chaos verfällt, was ich weder glaube noch wünsche, werden die dann groß gewordenen Kinder „sich ganz schön putzen“, welche Grenzen ihrem verwöhnten Verhalten entgegen gesetzt werden.
Und welche Schwierigkeiten erwarten sie später – etwa im Studium – in ihrem Freundeskreis, da ihnen auch dort sicher nicht all ihr Egoismus nachgesehen und verziehen wird. Rücksichtsloser Egoismus kann einen dann auf Dauer recht einsam machen.
Das heißt, für die eigene seelische Gesundheit und ein Auskommen mit anderen Menschen, brauchen wir intakte (und durchlässige) Grenzen.
Wenn die Grenzensetzungen von außen durch die Eltern nach und nach wegfallen (falls sie je deutlich markiert waren), müssen wir selbst die Verantwortung für die eigenen Begrenzungen und innere Struktur übernehmen.
Psychologisch gesprochen: Ohne ein altersgemäßes Grenzbewusstsein können die verschiedenen Funktionen des Ich nicht ausreichend entwickelt werden. Also im Biergarten keine Palmen anbrennen oder mit 4 Jahren neben der heißen Fritteuse stehen. Ohne aufmerksame, zupackende und konsequente Eltern lernt ein kleines Kind das leider nicht!
Interessant ist abschließend, dass der Gastwirt in den sozialen Netzwerken viel Unterstützung für seine Aktion fand. Von Menschen mit und ohne Kinder.
Aber ebenso interessant, dass manche Eltern im Internet wütend und fast schon irrational aufschrien, als ihnen jetzt eine Grenze aufgezeigt wird (Ein Beispiel: „Unser Sohn geht nicht auf umzäunte Spielplätze…“).
Was sagen Sie zu diesem Thema?
- Wie würden Sie in einem Biergarten sitzend auf die Grenzenlosigkeit der Eltern und deren Kindern reagieren?
- Würden Sie so einen Biergarten wie in Düsseldorf mit kinder- und hundefreier Zone gerne besuchen?
- Wie gehen Sie privat und beruflich sonst mit der Grenzenlosigkeit anderer Menschen um?
- Wie schwer ist es Ihnen gefallen, falls Sie eigene Kinder haben, bei der Grenzensetzung eindeutig und konsequent zu bleiben?
Wie immer freue ich mich auf Ihre und Eure Erfahrungen und Positionen.
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Grafik: Mirjam Magdalena Wershofen