Der Krieg Russlands gegen die Ukraine – wie kann ich mit meinen Ohmachts-Gefühlen umgehen

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine lässt kaum jemanden unberührt. Je nach innerer Stabilität und Alter bewegt es viele in sehr starkem Maße. Ältere Menschen werden an ihre Kindheit und Jugend im 2. Weltkrieg und der entbehrungsreichen Nachkriegszeit erinnert.

Jüngere Menschen, die Krieg, Zerstörung und Tod nur aus Film und Fernsehen kennen, werden damit konfrontiert, dass es hier keine SchauspielerInnen sind, die nach dem Fallen der Filmschnittklappe wieder aufstehen. Der Tod in der Ukraine ist brutal, real und unumkehrbar.

Medien zum UkrainekriegEgal ob jung oder alt, wir alle sind einem starken Gefühl von Ohmacht ausgeliefert. Ohmacht und Kontrollverlust sind mit die stärksten unangenehmen Gefühle, die wir kennen. Die wir aber kaum aushalten können und möchten. Viele fühlen sich dadurch überfordert.

Wir werden mit unserer realen oder eingebildeten Stärke bzw. Macht konfrontiert und erfahren schmerzhaft, dass wir eben nicht alles kontrollieren können oder es Dinge gibt, die außerhalb unserer Machtsphäre liegen.

Ein wichtiges Instrument zur Steuerung dieses Gefühls der Überforderung ist unser Medienkonsum in diesen Zeiten. Stundenlang vor dem Fernseher und Internet zu sitzen, permanent auf das Smartphone zu schauen und alle Nachrichten und Sondersendungen zum Krieg zu konsumieren, lässt uns dann oft nicht mehr zur Ruhe kommen.

Die Wissenschaft hat diesem „sich digital (pausenlos) durch den Untergang blättern“ den Namen „Doomscrolling“ gegeben.

Medienpausen helfen

Aus der Stressforschung wissen wir, dass wir für unser Wohlbefinden immer eine Balance zwischen Stress und Entspannung brauchen. Das heißt, für den Medienkonsum feste und begrenzte Zeiten festzulegen und auf ein für uns gesundes Maß zu reduzieren, also medienfreie Zeiten und Räume zu schaffen.
Zum Beispiel nicht kurz vor dem Schlafengehen noch Nachrichten schauen und die Anspannung dann mit ins Bett nehmen. Wir brauchen Zeiten, um all die Informationen des Tages einzuordnen, abzuspeichern und zu verarbeiten. Sich pausenlos zu informieren, geht ins Leere; wie ein überlaufender Wassereimer. Wir können nichts mehr aufnehmen.

Sich auch mit Familie, Freunden und Bekannten über ihr Erleben austauschen, sorgt für ein tieferes Verständnis der vorher passiv aufgenommen Informationen. „Nach dem Eindruck kommt der Audruck“ hieß es in meiner therapeutischen Ausbildung immer. Sie verlangsamen durch solch einen Austausch auch das Tempo der Informationen auf ein verdaubares Maß.

Sich in diesen Zeiten aus der Kriegsberichterstattung herauszunehmen, Medienpausen einzulegen und sich damit für einige Zeit innerlich vom Kriegsgeschehen abzugenzen, macht manchen ein schlechtes Gewissen.

Aber dadurch, das Sie pausenlos hier mitleiden, helfen Sie in der Ukraine niemanden. Ihre schlechten Gefühle und Ihr Mitleiden haben auf den Kriegsverlauf nicht den geringsten Einfluss.

Ob wir uns in dieser Zeit ausgehen und uns freuen oder mitfühlen oder leiden, ist für die Betroffenen unerheblich.

Die wirklich wichtigen Entscheidungen des Krieges werden wir mit Sicherheit erfahren, eventuell erst einen Tag später in der Morgenlektüre der Zeitung oder in einer Sondersendung. Wenn der Krieg endet, einer der beiden Präsidenten stirbt oder Putin gestürtzt würde, wir würden es sehr bald erfahren auch ohne ununterbrochen an einer Infoquelle zu „hängen“. Sonst hängen wir in der Stress-Schleife fest.

Wir können es uns in medienfreien Zeit gut gehen lassen ohne schlechtes Gewissen und ohne Rechtfertigung irgendwem gegenüber.

Ins Kino oder Theater gehen, sich zum Pizza essen oder Spazierengehen zu verabreden, hilft uns, abzuschalten und neue Kräfte zu sammeln. Jegliches soziale oder politische Engagement braucht Auszeiten. „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ heißt es schon in der Bibel.

Ich bin seit letztem Sommer als Seelsorger für die HelferInnen des Helfer-Shuttles und für die Betroffenen in der Flut-Hilfe für meine alte Heimat im Ahrtal eingebunden.

Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal

Das ist 25 km von uns in Bonn entfernt, und wenn ich in den Juli-Tagen unmittelbar nach der Flut von dort zurück kam, saßen hier die Leute wie unbeeindruckt im Eiscafe.

Ich brauchte eine Zeit, mit diesen zwei gleichzeitig existierenden Wirklichkeiten umzugehen. Wenn wir nicht direkt betroffen sind, dürfen wir uns abgrenzen und den Ausnahmezustand nicht zu unserem Normalzustand machen.

Es braucht Zeiten der inneren und äußeren Unbeschwertheit. Wir können nicht immer unsere Aufmerksamkeit im Krieg- und Krisenmodus halten. Das macht vielleicht Sinn für Angehörige, die um ihre in der Ukraine zurückgebliebenen Väter und Männer und Brüder sorgen. Und auch ihnen tun Pausen und Auszeiten gut.

Dadurch, dass Sie Ihr Leben wie bisher gleichmäßig weiterführen mit allen Pflichten, Freuden und Ritualen erleben Sie sich auch als handlungsfähig und haben Ihr Leben weitgehend „im Griff“.

Wir müssen wohl auch damit leben, -wie es meine Tageszeitung vor eine paar Tagen schrieb – „in dieser krisenhaften Zeit mit einer gewissen Grundunsicherheit zu leben“. Oder wie ich im einem Blog-Beitrag zu Beginn der Coronazeit vor zwei Jahren zitiert habe:

„Vielleicht müssen wir unsere Sicherheit im länger anhaltenden Aushalten und Ausbalancieren unseres Seelenfriedens, unsere Sicherheit durch die Akzeptanz der latenten Unsicherheit in den nächsten Monaten finden.“

Es ist eine normale Form der Bewältigung schwieriger Situationen, sich zu informieren. Zum Beispiel ein Youtube-Video zu schauen, wie bestimmte Gitarrengriffe aussehen oder wie ich meinen Garten insektenschonend umgrabe.

Im Fall dieses Krieges gibt es aber keine befriedigende Auflösung, die Unsicherheit bleibt weiter bestehen. Die Gefahr einer Informationssucht zum Ukrainekrieg wächst. Zumal es hier pausenlos unzählige Quellen und Fake-News gibt und Facebook, Google oder Youtube Sie mit immer neuen Links und spektakulären Anpreisungen gerne in der Aufmerksamkeitsschleife halten wollen. Das ist deren Geschäftsmodell!

Was bedeutet dieser Krieg für mich persönlich?

Sie können allerdings etwas gegen Ihr Ohnmachtsgefühl tun. Indem Sie in unterschiedlicher Form aktiv werden und aus dem unangenehmen -oft lähmenden-  Gefühl ins Handeln kommen.

Überprüfen Sie, was der Krieg für Ihr konkretes Leben ausrichtet in Form von physischer und psychischer Beeinträchtigung. Ob Sie hier in Deutschland wirklich real bedroht sind? Was heißt der Krieg und seine Folgen für Ihre Gas- und Stromrechung, für Ihren Einkauf und das Tanken?

Churchill hat die Briten in seiner berühmten Rede vom 13. Mai 1940 so eingeschworen: „Ich habe Euch nichts anzubieten als Blut, Mühsal, Schweiß und Tränen“ („blood, toil, sweat und tears“).
Und die Weigerung Churchills und der britischen Bevölkerung gegenüber Hitler-Deutschland zu kapitulieren und stattdessen mit seinem Land allein durchzuhalten, war mitentscheidend für die spätere Niederlage Nazi-Deutschlands.

Was wären Sie bereit, an politischen Sanktionen gegenüber Russland mitzutragen? „Frieren für die Unterstüzung der Ukraine?“ hat es Alt-Bundespräsident Gauck in einer Fernsehsendung symbolisch genannt.

Wenn ich die Entscheidung für Sanktionen mittrage, akzeptiere ich die Nachteile dieser Entscheidungen wie zum Beispiel teures Benzin und Diesel eher, als wenn ich diese Sanktionen ablehne.

Aktiv werden hilft gegen die eigene Ohmacht

Wir können unsere Ohnmacht lindern, indem wir aktiv werden! Im Fall des Ukrainekrieges kann das folgendermaßen aussehen:

  • Gegenstände von Lebensmitteln über Hygieneartikel bis zu Kleidung, Bettwäsche oder Matratzen für den Transport an die ukrainische Grenze oder für die hier angekommenen Flüchtlinge zu spenden. Um zu vermeiden, schnell in unüberlegten Aktionismus zu verfallen, können Sie die Spendenwünsche der jeweiligen Organsiationen im Internet oder in den Medien beachten.
  • Sie können Geld an Hilfsorganisationen spenden.
  • Sie können Zeit geben und bei Sammelstellen Spenden organisieren oder andere Hilfe geben.
  • Sie können Flüchtlinge aus der Ukraine bei Behördengängen unterstützen, Spielangebote für Kinder machen oder Hausaufgaben in der Schule begleiten.
  • Sie können selbst Flüchtlinge bei sich aufzunehmen.
  • Sie können zu Demonstrationen gehen oder mit Leserbriefen in der eigenen Regionalzeitung Stellung beziehen.
  • Sie können bei dem Wunsch nach einem stärkeren Engagement auch Fahrten von Hilfskonvois an die Grenzen zur Ukraine durchführen oder begleiten und zurück Flüchtlinge mit nach Deutschland nehmen.
  • Und immer wieder den Austausch mit Anderen suchen!

Jede noch so kleine Aktion kann unser Gefühl der Ohnmacht verkleinern und wir können gleichzeitig etwas Nützliches tun.

Eine breite Unterstützung der Sanktionsmaßnahmen der Regierung von jedem Einzelnen in Form von sparsameren Heizen oder weniger Autofahren hilft, die große Abhänigkeit von russichem Öl und Gas Stückchen für Stückchen zu verringern.

Natürlich beenden all unsere Aktionen alleine noch nicht den Krieg, aber viele Aktionen helfen den vom Krieg betroffenen UkrainerInnen. Und diese brauchen – von Heimat und viele ihrer Väter, Brüder und Ehemänner beraubt- ganz viel Unterstützung.

Sie können auch überprüfen, inwieweit Ihre vielleicht heftigen Gefühle durch Ihr Mitgefühl für die Menschen in der Ukraine herrühren oder vielleicht auch alte eigene Gefühle angerührt sind. Also alte Ohnmachtserfahrungen, die wir alle in unserem Leben ein- oder mehrfach gemacht haben.
Vieles gehört zu unserem Aufwachsen in Kindheit und Jugend einfach dazu.

Erwachsen werden heißt ja auch, die kindlichen Allmachtsfantasien zu bearbeiten, aufzugeben und ein realistisches Selbstbild zu entwickeln. Dazu gehört auch kindliche Ohmacht auszuhalten und zu verarbeiten.

Wenn Sie dieser Krieg mit all seinen Folgen aber so stresst und überfordert und all Ihre bisherigen Bewältigunsstrategien nicht ausreichen, dann wäre es gut, sich professionelle Unterstüzung zu holen. Beratungsstellen der Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die Telefonseelsorge, Ihr/e HausärztIn oder heilpraktische oder psychotherapeutische KollegInnen stehen für Sie bereit.

Wie immer freue ich mich über Ihre und Eure Rückmeldungen.

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Fotos: Winfried Wershofen

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