„Das Leben ist das was passiert, während Du gerade etwas anderes planst…“ Andacht zum Ahr-Hochwasser

Im Rahmen unserer seelsorgerischen Hilfe nach der Hochwasser-katastrophe im Ahrtal, in dem ich aufgewachsen bin, habe ich mit meiner

Altenahr, zerstörte Eisenbahnbrücke

 Frau Sabine Ehrlich-Wershofen, Pfarrerin und Klinikseelsorgerin eine Andacht geschrieben, die Sabine am Sonntag, den 15. August 2021 im Camp des Helfer-Shuttle in der Grafschaft für die Helferinnen und Helfer und das Team des Helfer-Shuttles gehalten hat. Franz-Josef Graf hat die Andacht mit seinem Flügelhorn musikalisch untermalt.

Nachfolgend können Sie diese Andacht lesen.

Life is, what happpens, while you’re are buisy making other plans.“

Das Leben ist das, was gerade passiert, derweil Du gerade ganz geschäftig andere Pläne machst.“

Diese Textzeile von John Lennon aus seinem Lied „Beautiful Boy“ trifft es sehr genau.

Wir alle hätten jetzt andere Sachen gemacht, als hier im Ahrtal zu helfen. In der Sonne liegen, nach der Coronapause zu Konzerten gehen, mit unseren Kindern in deren Schulferien viel unternehmen.

Andacht mit Franz Josef mit seinem Flügelhorn

Manche von Euch haben ihren Urlaub abgesagt und ihn hier ins Ahrtal verlegt. Und alle macht ihr hier einen tollen Job.

Das Leben ist das, was gerade passiert, derweil Du gerade ganz geschäftig andere Pläne machst.“

Für die Betroffenen im Ahrtal trifft dieser Satz noch viel härter zu.

Nach der Coronazeit hatten viele Menschen in der Gastronomie auf den Besuch vieler Gäste in ihren Räumen, auf dem Rotweinwanderweg oder Ahrsteig gehofft, hatten das letzte Geld in die Hand genommen, um ihre Cafes, Restaurant und Weinstuben aufzuhübschen.

Und jetzt diese verheerende Katastrophe!!!

Vielleicht nicht ganz aus heiterem Himmel, denn es gab Anzeichen auf sehr viel Regen und Hochwasser… aber was nützen Sandsäcke gegen eine Flut, die 4 bis 5 Meter höher war als das letzte Hochwasser von 2016.

Für viele hieß das über Stunden verzweifelter Kampf um das eigene Leben, um das der Angehörigen, um das der Nachbarn.

In der Dunkelheit ausharren bis zum nächsten Morgen oder Nachmittag, bis sie gerettet werden konnten. Die hilflos mitansehen mussten, wie Nachbarn weggespült wurden, wie Autos an ihnen vorbei schwammen, in denen Menschen panisch um Hilfe riefen. Manche Autos wurde erst 40 km ahrabwärts wieder gefunden.

Zerstörtes Auto an der Ahrpromenade in Bad Neuenahr

Diese Katastrophe konfrontiert die Betroffenen mit heftigsten Gefühlen, die niemand von uns je erleben möchte.

Todesangst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust,Verzweiflung, Trauer, Hoffnungslosigkeit, der Verlust von Angehörigen, Nachbarn, Freunden…, der Verlust von Hab und Gut … Da werden viele viele Narben und Traumen zurückbleiben.

Aber auch wir alle sind diesen Gefühlen ausgesetzt bzw. ausgesetzt gewesen.

Und wie wir alle hier im Helfer Shuttle, wie alle Mitglieder in den offiziellen Organisationen wie DRK, Malteser, THW, Polizei,

Taucherstaffel der Polizei sucht in der Ahr nach verrmissten Personen

Bundeswehr und all den anderen. Wir stellen uns mit unserem täglichen Tun diesen Gefühlen entgegen.
Wir versuchen, dass diese Gefühle nicht die Oberhand gewinnen, dass diese Gefühle nicht die Oberhand behalten.

Wir machen das, weil wir wissen: Wir bringen Hilfe und vor allem Hoffnung zu den Menschen hier im Ahrtal.

HelferInnen auf dem einzigen Zugang nach Reimerzhoven durch die Weinberge wenige Tage nach dem Hochwasser

Wir heilen durch unser Tun auch ein Stück weit unsere verletzten Seelen, den Schock, der für viele aus der Region die Zerstörung ihrer Heimat mit sich gebracht hat.

Aber…Bei allem großartigen Engagement müssen wir dabei auch auf uns selbst achten. Wie es das Motto eines Kirchentages vor einigen Jahren verkündete:

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme an seiner Seele Schaden“ Markus 8,36

Was nützt es, wenn Du die Welt rettest, und Deine Seele Schaden nimmt.“

Das heißt auch für jede, für jeden unter uns, unsere Hilflosigkeit annehmen und aushalten und nicht in Gefahr laufen, in ungestümen Aktionismus zu verfallen.

Das heißt, Pausen machen, immer wieder zurück in unser altes, in unser eigentliches Leben eintauchen und mit neuen Kräften wiederkommen.

Ohne schlechtes Gewissen, wir täten nicht genug. Was wir getan haben, was du getan hast, war und ist gut, war und ist genug.

In unseren Seelsorgegesprächen hören wir oft: „Ich hab doch fast gar nichts getan, ich muss weiter machen!“
Wir alle tun nicht zu wenig, die Aufgabe ist so riesig: 50 – 60 km Ahrtal sind in weiten Teilen zerstört!

Zerstörte Straße am Ortsausgang von Reimerzhoven

Bedenkt:

Wenn wir mit neuen Kräften in ein paar Tagen oder Wochen wiederkommen, gibt es leider immer noch genug zu tun.

Da es bald kälter wird und viele Helfende zunehmend in ihren Alltag zurück müssen und es wohl auch weniger werden, braucht es unseren langen Atem. Geduldig und Stück für Stück unser geliebtes Ahrtal wieder neu bzw. anders aufzubauen.

Dies ist kein Sprint über 100 oder 200 m, kein Langstreckenlauf von 1500 m, dies ist ein Marathon-Hindernislauf!!!

Zerstörte Brücke und Häuser in Rech

Wir sind da sicher individuell unterschiedlich ausgestattet. Der eine, die eine schüttelt sich nach einem Schicksalsschlag kurz und kräftig und packt wieder an. Andere brauchen länger, um wieder auf die Beine zu kommen. Das Zauberwort Resilienz, das seit einigen Jahren sowohl durch die Fachwelt wie auch durch die Frauenzeitschriften wandert, beschreibt das recht gut.

Es meint unsere Fähigkeit, nach einem Schicksalsschlag den Blick trotz aller Trauer und Verarbeitung nach vorne zu richten, die Lage nüchtern und sachlich zu analysieren und sich auf den Weg zu machen, um nach Lösungen zu suchen.

Als mein Mann sich vor unserer Tätigkeit als Seelsorger hier mit seinem Privatauto als Fahrer für den Shuttle anbot, wurde ihm gesagt:
„Toll, aber dein Wagen sieht danach nicht mehr so aus wie
vorher!“

Shuttle 52

Auch wir werden uns verändert haben, werden andere geworden sein, wenn wir hier fertig sind: Reifer, belastbarer, wesentlicher … mit wichtigen Erfahrungen und Eindrücken versehen, an die wir uns unser ganzes Leben erinnern werden.

Meine/unsere dringende Bitte an euch:

Achtet auf die Signale eures Körpers im Blick auf Erschöpfung und Müdigkeit, achtet darauf, wie gut ihr schlaft, habt ihr Alpträume? Hat sich etwas „verrückt“/verändert in eurem Leben?

Das sind normale Belastungsreaktionen, die nach ein paar Tagen weniger werden sollten. Eure Seele hat etwas zu verarbeiten. Ihr habt hier Schlimmes gesehen und gehört! Nur wenige unter uns haben Erfahrungen in einem Katastrophengebiet sammeln können.
Wenn diese Reaktionen aber nicht bald weniger werden, holt euch Hilfe.

Das Ahrtal braucht Euch, aber nicht, dass Ihr Euch hier an Leib und Seele verbrennt.

Wir versuchen, regelmäßig Seelsorgende hier oben zu haben, wenn ihr von eurem großartigen Einsatz wieder hoch kommt.
Wir möchten Euch einladen, dieses Angebot zu nutzen, auch wenn Ihr vielleicht denkt: „Das ist doch nichts Schlimmes.“


Einige Posts bei Facebook zeugen von den Schwierigkeiten einiger Helfenden, wieder in ihr altes Leben zurück zu finden und mit ihren Belastungen angemessen umzugehen.

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme an seiner Seele Schaden“ Markus 8,36

Was nützt es, wenn du die Welt rettest, und Deine Seele Schaden nimmt.“

Amen, das heißt: So sei es , so ist es.

Trompetenstück von Franz Josef: „So nimm denn meine Hände“

Ausklang mit einem Lied von Franz Josef

Ich lade ein zum Gebet:

Alle unsere Klagen und Bitten, unsere Wünsche und Hoffnungen,

unseren Dank nehmen wir mit in das Gebet,

das uns Jesus gelehrt hat:

Das Vaterunser

 

Der Segen: (Wir reichen uns die Hände.)

Gott, der uns Vater und Mutter ist, segne uns

dass unser Leben Frucht bringt, auch durch Zeiten der Dunkelheit.

Christus, unser Bruder, gehe mit uns auf all unseren Wegen.

Er sei bei uns in Leid und Schmerzen und nehme uns mit zu neuem

Leben.

Der Heilige Geist, die lebensschaffende Kraft Gottes,

durchdringe uns, sie mache unser Herz empfänglich für alles Leben

und lasse uns singen, wonach uns ums Herz ist.

Amen.

Zum Abschluss: Lied von Franz Josef „Loch Lomond“

 

Wir freuen uns auf Eure/Ihre Rückmeldungen!

 

 

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