Die fünf Phasen der Geburt

Ich möchte Ihnen heute das Konzept: „Die fünf Phasen der Geburt“ vorstellen. Es beschreibt die Phasen unserer Geburt von der Zeit vor der Befruchtung bis zum Ankommen nach der Geburt.

Einer meiner therapeutischen Lehrer, der Begründer der Psychoorganischen Analyse, Paul Boyesen hat diese Phasen seit den 1970er Jahren erforscht und seine Hypothesen entwickelt. In den Ausbildungsgruppen der Psychoorganischen Analyse oder in Selbsterfahrungsgruppen ausgebildeter KollegInnen bestand und besteht die Möglichkeit eine psychoorganische Geburtsarbeit zu durchleben. Ich konnte diese tiefgehende und berührende Arbeit seit den 80er Jahren während meiner Ausbildung und Praxisarbeit immer wieder erleben.

Diese Phasen sind nicht zu vergleichen mit den rein medizinischen Begriffen wie Eröffnungs-, Übergangs- und Austreibungsphase direkt während der Geburt, mit denen ÄrztInnen und Hebammen arbeiten.

Unser Konzept fasst den Rahmen von ca. 9 Monaten von der Befruchtung bis zur Geburt.

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Die einzelnen Phasen dieses Modell beziehen sich auf den eigentlichen Geburtsprozess des Babys. Es hat sich im Laufe der Arbeit mit diesem Modell aber gezeigt, dass

  • sich die einzelnen Phasen auch bei Erwachsenen bei der Umsetzung ihrer Konzepte und Ideen beobachten lassen. Zum Beispiel bei der Entwicklung einer neuen Geschäftsidee und einer Veränderung im persönlichen Bereich.
  • Probleme in den einzelnen Phasen bei der realen Geburt bis ins Erwachsenenleben nachwirken (können).

Das Modell lässt sich deshalb auch als diagnostisches Hilfsmittel in der therapeutischen Arbeit oder im Coaching einsetzen. Dazu nenne ich einzelne Beispiele aus dem Erwachsenenbereich, diese sind zur besseren Unterscheidung kursiv gesetzt.

Die einzelnen Phasen sind:

1) Die Konzeption

2) Die Inkarnation

3) Die Bewegung

4) Die Passage

5) Das Ankommen/die Wiedervereinigung

 

1) Die Konzeption

Bei der ersten Phase geht es um unsere eigene Existenz als Mensch, als Kind unserer Eltern, unserer Gesellschaft und unserer Kultur, als ein Kind des christlichen Gottes oder eines anderen Glaubenssystems.

Manche Menschen oder einzelne KlientInnen haben das Gefühl, sie leben nicht ihr eigenes Leben und denken nicht ihre eigenen Gedanken. Es ist, als ob sie auf einer tieferen Ebenen nicht ihre Geburt und ihre eigene Existenz leben. Ihr Bezug ist vielleicht nur der elterliche oder gesellschaftliche Rahmen, der ihnen dargeboten wird. Sie vergessen, dass es eine eigene Konzeption außerhalb dieses Rahmens gibt.

Ihnen fehlt der Kontakt zu dieser eigenen Konzeption, zum eigenen tieferen Sinn oder auch Berufung.

Das bedeutet in diesem Modell, es gibt außerhalb der Wünsche der Eltern schon seit der Zeugung eine eigene –oft auch unbewusste- Konzeption in uns allen von unserem Leben.

Paul Boyesen hat dieses in ein Bild gefasst: Unsere Seele ist im Kosmos unterwegs und sucht sich seine Eltern selbst aus, wenn es zur Befruchtung kommt. Paul Boyesen lebt und arbeitet hauptsächlich in Frankreich und ist ein Meister darin, die gesprochenen Wörter in verschiedenen Sprachen auf ihre Inhalte und Bedeutungen hin zu analysieren.

Im Englischen meint conception die Empfängnis/der Zustand des Seins. Im Französischen meint es den Beginn der Schwangerschaft und die Vorstellungen über das Leben. Der Begriff Konzeption lässt sich aufgrund dieser Übernahme ins Deutsche deshalb nicht ganz exakt fassen.

Dieser Begriff der Konzeption beinhaltet neben dem Ja zum Leben idealerweise alles das, was in unserem Leben sein könnte, aber noch nicht ist.

Was von uns mit oder auch gegen unsere Eltern oder die Gesellschaft in die Realität getragen werden kann. Manchmal verstehen wir dieses Ja zu unserem eigenen Leben nicht oder zweifeln an ihm. Persönliche Krisen oder Krankheiten fordern uns auf, immer wieder Verantwortung für die eigenen Bewegungen, Impulse und Wünsche zu übernahmen. Zu einem Menschen zu werden, der mit einem authentischen Gefühl „Ich“ sagen und dieses innerlich deutlich spüren kann. Bevor etwas geboren wird, gibt es schon eine Vorstellung davon. Aus dem Samen einer Rose wird eine Rose, kein Stein und kein Baum. Bevor also die Rose real existiert, gibt es sie schon als Idee.

Unser Leben beginnt immer mit der Zeugung. Dieses Ereignis kann auch durch einen unbewussten Wunsch geschehen. Trotz „eigentlicher“ Verhütung entsteht ein Kind (die Pille „vergessen“, bei der Berechnung der fruchtbaren Tage vertan, Eisprung nicht am errechneten Zeitpunkt, …).

Das wird dann später oft „als Unfall“ bezeichnet. Das hat natürlich Folgen für die elterliche Konzeption für das Kind.

Sagten die Eltern beim Sex „Ja“ zu einem Kind? Bewusst und/oder unbewusst? Oder gehört es irgendwie dazu, dass ein Kind entstehen könnte? War es Liebe, Sexualität oder „nur“ triebgesteuert? Haben sie überhaupt bedacht, dass ein Kind kommen könnte? Waren Sie als Baby unverhofftes Glück, ein „ Unfall“ oder Zufall?

Und wie sieht die eigene Konzeption des Kindes in den einzelnen Fällen aus und wie verhält sie sich zur die Konzeption der Eltern? Und was heißt das für die Identität des Kindes und späteren Erwachsenen?

 

2) Die Inkarnation

Bei der zweiten Phase geht es um die physische Existenz des Fötus. Das meint die Einnistung des befruchteten Eies. Es kommt ja immer wieder vor, dass sich ein Ei nicht dauerhaft einnistet und mit der nächsten Monatsblutung wieder abgestoßen wird. Das Wort Inkarnation hat den Ursprung incarné = ver-fleisch-lichen.

Wir sind Materie, wir sind da. Wir sind noch klein und wir haben innere und äußere Grenzen.

Es geht hier vor allem um das „Ja“ zu unserem Körper. Er schützt und begrenzt uns und ermöglicht uns eine gewisse Mobilität. Das heißt aber auch, die äußere Welt zu akzeptieren, auch wenn wir sie vielleicht verändern möchten. Veränderung und Akzeptanz ist auch für uns als Erwachsene immer ein großes Thema. Inkarnation heisst hier, das Da-Sein im eigenen Körper. Da wir alle auf der Welt sind, haben wir Ja gesagt zum Körper und zu unserem Hiersein. Manchmal vergessen wir das und zweifeln daran. Aber wenn auf der Strasse ein Auto auf uns zu rast, erneuern wir instinktiv dieses Ja und springen zur Seite. Niemand überprüft dann seine Konzeption, ob er oder sie vielleicht doch stehen bleiben sollte. Ich glaube, wir alle haben diesen instinktiven Wunsch zu leben.

 

3) Die Bewegung

Das Baby bereitet sich im Uterus in dieser dritten Phasen wie auch wir im späteren Leben darauf vor, Passagen und Hindernisse anzugehen und zu überwinden.

Als Erwachsene/r geht es darum, Pläne für das Gelingen unserer Projekte zu schmieden, Energie da hinein zu geben. In Taten und in Worten.

Das Baby sagt jetzt nicht nur „Ja“ zum Körper, sondern auch „Ja“ zu dem, was von seinem Körper kommt. Ja zu unserer Energie, zur Lebendigkeit, zu Schmerz, Trauer, Wut, Freude und Lust. Es sagt ja zur Lebendigkeit, weil es bei dem meisten Babys einen tiefen instinktiven „drive“ gibt, nach neun Monaten rauszugehen.

Wichtig ist hier die Freude an seinen Dasein und über die Vorfreude auf die nächsten Schritte.

Wir spüren das zum Beispiel als Erwachsener deutlich an einem guten Gefühl im Bauch, dass eine gerade getroffene Entscheidung „sitzt“, noch bevor wir mit einer Handlung angefangen haben.

  • Ich werde mich jetzt endlich von ihm/ihr trennen“ oder
  • das Haus wird jetzt endlich verkauft, es ist mir zu viel und zu groß geworden“ oder
  • Ich mache mich jetzt endlich selbständig und kündige diesen unbefriedigenden Job.“

Es kann leider auch sein, dass wir in dieser Phase am Wert unserer Gedanken oder Pläne zweifeln oder am Recht, so zu denken und zu handeln. Oder schlimmstenfalls am Recht zu existieren.

Für das heranwachsende Baby heißt das im Idealfall, es wird von seiner Mutter gut genährt und von Stress, Alkohol oder Drogen verschont, wird mit freudigen Gedanken und Gefühlen erwartet und kann eine fundamentale Erfahrung von Wohlbefinden machen, bevor es in die „Welt da draußen“ eintritt. In der Regel hat das Baby 9 Monate Zeit bis zur Geburt und der Entwicklung des Körpers.

Es kann aber auch sein: eine Mutter hat ihr Kind mit sehr ambivalenten Gefühlen während der Schwangerschaft begleitet und zurück bleibt beim später Erwachsenen ein tiefes Gefühl „bin ich in dieser Welt eigentlich hier richtig?“ oder „Ich bin immer so misstrauisch gegenüber anderen Menschen“.

Das Gefühlsspektrum der Mutter von Freude und Sicherheit bis Angst und Ablehnung kann unser Beziehungserleben bis heute deutlich und spürbar prägen.

In der Realität der Erwachsenen können Projekte in dieser dritten Phase immer wieder an zu wenig Zeit für Entwicklung der Idee, an der benötigten Energie, an Hingabe, Geld oder ausgeklügelten Plänen und an dem „Nicht-Heraus-Gehen-Wollen“ in die Realität durch die Passagen und Widerstände des Lebens scheitern. Und manches Mal war es dann „noch zu früh oder schon zu spät“!

Diese Phase der Bewegung (und des Wachsens) ist die längste.

 

4) Die Passage

Hier geht es nun darum, von der inneren Welt in die äußere zu gelangen. Das Kind muss sich durch den Geburtskanal in die äußere Welt kämpfen. Es gibt die starke Begegnung mit einem anderen Menschen und es erzeugt viel Reibung. Die körperliche Symbiose endet damit.

Für das Kind gibt es nur den Weg, sich mit seinem Drive durchzukämpfen oder des Geholt-werdens durch einen Kaiserschnitt. Zu den verschiedenen Auswirkungen von normaler Geburt und Kaiserschnitt für die Entwicklung und das spätere Leben werde ich in einem weiteren Beitrag schreiben.

Für uns Erwachsene geht es hier auch vom Innen zum Außen. Die angedachten Pläne müssen in die Realität kommen. Wir haben vielleicht ein Problem mit der Herausforderung, unsere Wünsche, Impulse und Pläne in die Tat umzusetzen. Wir ich in einem früheren Beitrag schrieb begrenzt die Realität immer die Umsetzung all unserer Impulse und Wünsche. Eigentlich…

Hier besteht immer auch die Gefahr, angesichts der Hindernisse generell am Wert unserer Projekte zu zweifeln. Und weiter, wir können das gute Gefühl, das wir zuvor noch hatten, verlieren. Manche Menschen verzweifeln oder ziehen sich bis zum Beinah-unsichtbar-werden zurück. Oder fragen sich, ob sie sich überhaupt etwas für sich wünschen dürfen, das anders ist als die schon bestehende Realität. Erfinder wie Steve Jobs oder Komponisten wie Bach oder Mozart haben diese Phase bestens gemeistert!

 

5) Das Ankommen/die Wiedervereinigung

Hier erfahren wir eine neue Realität, die anders ist als die vorherige. Das Baby ist draußen und liegt im glücklichen Falle der Mutter auf dem Bauch, es gibt eine Wiedervereinigung außerhalb des Körpers. Es geht vor allem um das Ankommen und in Besitz nehmen (können). Es könnte sich vollendet anfühlen, auch wenn nicht alles vielleicht 100% ist.

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Dieses Wiederankommen ist idealerweise haltend und nährend.

Ein zu langes Getrenntsein von der Mutter unmittelbar nach der Geburt wegen Untersuchungen – so nötig sie vielleicht auch sein mögen- oder von den Eltern vor allem im kommenden ersten Lebensjahr kann zu einem immer wieder auftauchenden Gefühl von „nicht richtig zugehörig zu sein“ und Gefühlen von starker Einsamkeit und Entwurzelung als Erwachsener führen.

Manche Menschen haben leider selten oder nie das sichere Gefühl, angekommen zu sein.

Sie vermissen, was es heißt, einen tiefen Frieden zu finden, da wo sie gerade sind.

 

Auswirkungen und Anwendungen in unser aller Leben

Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit diesem Modell zu arbeiten. Erfahrungsgemäß gibt es immer wieder Menschen, für die eine dieser fünf Phase (besonders) problematisch ist.

Zum Beispiel kann ein Mensch über seine Probleme sprechen ohne das Gefühl zu vermitteln, wirklich da zu sein Oder viel zu sprechen, aber nie danach zu handeln.

Das heißt, nach der Konzeption fehlt die Inkarnation.

Vielleicht hat ein Mensch Ja zur Inkarnation gesagt, aber in der dritten Phase Nein zur Lebendigkeit des Körpers.

Dieser sitzt dann viel in Fantasien, Bildern, Vorstellungen, aber spürt nichts von sich, dieser Mensch hat entschieden nicht zu fühlen. Es wird keine Verantwortung übernommen, es gibt keine reale Erfahrung, die durch das Handeln kommt. Energetisch ist er kaum da, nimmt seinen Körper kaum an. Es könnte schon helfen, ihn/sie mehr mit dem Körper zu verbinden, nach der Resonanz im Körper zu dem Gesprochenen zu fragen. Oder laut „Ja“ zu seinem Körper und zu seinen Ideen zu sagen. Die Körpertherapien helfen hier sehr, (mehr) zur Inkarnation und zur Bewegung, zur dritten Phasen zu können. Spüren, was vom Körper kommt, ist immer wieder Teil einer solchen Arbeit.

Bei der vierten Phase der Passage geht es immer wieder darum, Hindernisse zu überwinden und für seine Ideen in der realen Welt zu kämpfen. Wir unterliegen ja immer Veränderungen.

Kommen sie von außen, müssen wir reagieren; betreiben wir sie selbst, können wir gestalten.
Zu meinen, jeder neue Tag ist so wie der letzte, zeugt von unbewusster Regression. Es gibt Menschen, für die es keine Probleme geben soll. Es soll alles so bleiben, wie es ist oder sich „einfach so“ fast von alleine verändern wie im Märchen ohne Konflikte und Anstrengung.

Aber Probleme und Konflikte sind das Zentrum der Begegnung unserer Ideen mit der Realität. Wenn es keine Probleme gäbe, wäre unsere neue Idee nur „ein alter Hut“ und ohne Kraft und Bedeutung. Ohne Passagen gibt es kein Wachstum. Was passiert, wenn ich bereit für meine Passage bin, aber von außen immer wieder gestoppt werde? Kann ich den guten Kontakt zu meiner Konzeption behalten oder verliere ich meine Freude an der Umsetzung?

Für uns heute ist sicher hilfreich, sich an die Erzählungen an die eigene Geburt zu erinnern?

  • War sie anstrengend oder problemlos, schnell oder lang?
  • Waren Sie erwünscht oder Ihre Zeugung ein „Unfall“?
  • Wurden Hilfsmittel verwendet oder musste gar ein Kaiserschnitt gemacht werden?
  • Hatte Ihre Mutter Angst, sie nicht halten zu können?
  • Hatten Sie genug Zeit, zu bestimmen, wann Sie raus wollten?
  • Waren die Mutter und/oder die Ärzte ungeduldig?
  • Haben Sie heute oft das Gefühl, Sie bestimmen nicht selbst über Ihre Zeit und Ihre Entwicklung, sondern andere?
  • Oder waren sie sehr schwer und waren kaum zu „handhaben“, Ihre Mutter wurde vielleicht ohnmächtig und hat die Geburt nicht bewusst mitbekommen?
  • Ist Ihre Erfahrung fürs Leben vielleicht: Ich bin zuviel für andere… oder bin zu schnell… Der/die andere kann mich nicht nehmen, wenn ich mit meinen (vielen oder kraftvollen) Ideen komme?

Es kann auch die Gefahr bestehen, dass jemand als Erwachsene/r sich in dieser Reibung der vierten Phase verliert, er/sie verliert den Kontakt für die ursprünglichen Ziele.

Es geht am Ende nur noch um das Kämpfen an sich, der Kampf um Alles und mit Jedem wird wichtiger als die eigenen Ziele.

Das kann von einer chronischen Ungeduld bis zur Selbstzerstörung und paranoiden Gedanken gehen, als bestehe die Welt nur aus Hindernissen und Feinden.

Oder die Hindernisse sind zu groß, die eigene Idee ist einfach nicht umsetzbar. Dann gilt es, diesen einen Kampf aufzugeben und loszulassen oder „kleinere Brötchen zu backen“. Eine große Herausforderung.

Ein Mensch kann sich auch gegen seine nach außen drängenden Impulse stellen und sie durch ein starkes Über-Ich niederhalten. Das wird aber in einem chronisch unzufriedenem Kompromiss enden. Und vielleicht zuletzt in einer Depression und einem Zustand, des nicht fühlen wollen.

„Viele Leute ziehen das bekannte Unglück dem unbekannten Glück vor.“

Wenn es in der Passage um eine Veränderung geht, ist es sinnvoll auch zu schauen, was wir hinter uns lassen. Das wir würdigen können, was für uns lange Zeit sinnvoll war, aber jetzt nicht mehr ist.

Für das Baby gibt es kein Verweilen im Mutterleib, es wird biologisch zur Passage getrieben. Drinnen geht es nicht weiter. Vielleicht noch ein oder zwei Wochen über den Termin hinaus, aber spätestens dann kommt es mit den sogenannten Waschfrauenhänden raus. Die „Käseschmiere“ ist aufgebraucht und das Fruchtwasser wird grün.

Vielleicht befürchtet es kein gutes Empfangen-werden draußen oder wollte noch etwas Wohlbefinden im Bauch genießen. Der Geburtstermin ist ja keine verbindliche Verabredung, sondern nur ein Näherungswert.

Ich erinnere mich an ein Beispiel aus meiner Ausbildung: Eine Frau hat eine Erfahrung während ihrer Geburt gemacht, an die sich aber nicht erinnern konnte.

Wenn sie während der Geburtsarbeit „auf die Welt kommen“ wollte, bekam sie heftige Atemnot und ein Gefühl von Ersticken („Ich kriege keine Luft mehr.“) und panische Angst. Später hat sie dann in Gesprächen mit ihren Eltern erfahren, dass das bei ihrer Geburt ganz real so geschehen war. Sie hatte die Nabelschnur um den Hals, als sie zur Welt kam und das war eine existentiell bedrohlich Erfahrung. Das bedeutet, in dem Moment, wenn sie den Drive entwickelt, raus zu gehen, wurde es bedrohlich für sie. Sie erinnerte sich dann daran, dass sie auch in beruflichen Kontexten, wenn es um wichtige Passagen ging, ähnliche ängstigende Gefühle und Unsicherheiten verspürt hatte. Nach einer therapeutischen Begleitung löste sich das dann für den beruflichen Bereich auf und sie konnte ohne Atemnot und ähnliche Gefühle ihre Projekte verwirklichen.

 

Die fünfte Phase des Ankommens ist für manche Menschen schwer lebbar. Sie kommen kaum an. Bevor sie sich umschauen und genießen können, wo sie gerade gelandet sind, geht es schon weiter.

  • Die neuen Kleider vom Wochenendeinkauf hängt noch am Schrank, da wird schon das nächste gekauft.
  • Die neue Arbeitsstelle ist nach dem anstrengenden Vorstellungsmarathon angetreten worden und schon wird an der nächsten Bewerbung gefeilt.
  • Die Bestellung im Restaurant ist noch nicht aufgegeben, da finden wir das Gericht am Nebentisch eigentlich viel schmackhafter als das eigene, das gleich kommt.
  • Die Band hat ihr 1. Stück noch nicht beendet, da ist uns schon klar, dass wir besser eine anderes Konzert besucht hätten.

Solche Menschen rennen durch ihr Leben, zeigen Zeichen von Hyperaktivität und können ihre Ankunft nirgends genießen und sich darüber freuen.

Das heißt, alle deren Konzeptionen sind davon geprägt, eigentlich am falschen Ort angekommen zu sein.

Es gibt bei Schwierigkeiten in dieser Phase keine Zufriedenheit über das Erreichte oder ein Verschmelzen mit anderen Menschen.

Das Gegenteil wäre ein Zustand des tiefen Erfülltseins, der Verbundenheit, der Orgonomie wie es in meiner Sprache heisst, angelehnt an das Konzept des Orgon von Wilhelm Reich. Dazu gehören immer wieder die Arbeit an meinen Beziehungen zu Eltern, Kindern, Freunden und die Beschäftigung mit Kreativität, Kunst und Muße.

 

Ausblick

Wir können unsere Konzeption täglich spüren. Wachen wir morgens auf mit einem guten Gefühl: Begrüßen wir den Tag mit Freude und neugierigen Erwartungen auf das Kommende?

Oder sagen wir, „Scheiße, schon wieder ein Tag?“ Draußen ist grau und ich muss so viele Dinge erledigen, am liebsten bleibe ich doch im Bett! Draußen ist alles so anstrengend.

Tief in uns ist immer die Frage berührt, wer hat eigentlich die Entscheidung gefällt, dass ich auf dieser Welt bin? Ich selbst oder meine Eltern? Habe ich mir meine Eltern ausgesucht? Oder wollten diese (oder eine/r von ihnen) dass ich komme. Vielleicht komme ich zu dem nüchternen Ergebnis: Ich wollte nicht kommen, ich musste!

Die Antwort darauf ist existentiell für unser aller Leben. Möchte ich wirklich hier sein? Oder denke ich, es ja auch irgendwann vorbei, Gott sei Dank!

In unseren Ideen, Plänen, Bildern, Gefühlen, Träumen kommt diese Konzeption immer wieder vor.

Ich gehe zum Beispiel auf eine Party, wo ich kaum jemanden kenne. Denke ich, das wird toll, ein Fest feiern und nette Leute treffen? Die werden sich schon auf ein neues Gesicht freuen!

Oder gehe ich mit dem Gefühl, ich bin da wohl nicht erwünscht, verziehe mich dort in eine Ecke, erwehre mich vielleicht allen Kontaktversuchen anderer und breche auch bald wieder unzufrieden auf?

Es scheint so zu sein, dass wir vieles von unserer Geburt wiederholen im Leben, ohne dass es uns bewusst ist. Es ist aber auch möglich, sich diese Zusammenhänge bewusst zu machen und zu verändern und andere Aspekte von sich selbst zu entdecken und zu leben, die wir bisher noch nicht gelebt haben. Schwierigkeiten, die wir immer in einer der Phasen haben, aufzulösen oder zumindest flexibler damit umzugehen als bisher.

Das heißt, unsere Konzeptionen lassen sich verändern!

Wir müssen uns ihrer aber erst bewusst werden. Wenn meine Erfahrung früher war, ich bin nicht willkommen, kann ich für mich alleine, mit Partnern und Freunden oder in Therapie zu meiner neuen Konzeption kommen, dass ich mich irgendwann doch willkommen fühle. So werden die Eltern (also meine realen Erfahrungen) zu einer Passage zu meiner eigenen – mir wohlgesonnen – inneren symbolischen Welt.

Wir durchlaufen also immer wieder neue Konzeptionen und Geburten in unserem Leben. Vielleicht nicht so große wie die erste als Baby bei seinem Weg nach Außen.

Ich möchte Paul Boyesen für seine Arbeit würdigen und mit einem Zitat von ihm enden:

„Und selbst wenn reale Veränderungen nicht immer stattfanden, so habe ich fast immer erlebt, wie eine gewisses Gefühl von Authentizität entstand, durch das es dem ICH möglich wurde, zu erscheinen und der Welt „Guten Tag“ zu sagen.“

 

Was beschäftigt Sie an diesem Konzept der 5 Phasen der Geburt?

  • Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Geburt?
  • War diese „normal“ oder problematisch?
  • Kommen Ihnen einzelne Beispiele aus den einzelnen Phasen bekannt vor?
  • Gibt es eine Phase, zu der Sie eine besondere Resonanz verspüren?
  • Kennen Sie das Gefühl, nie richtig „anzukommen“ oder sich vor notwendigen Passagen zu drücken?
  • Gibt es Dinge in Ihrem Leben, die möglicherweise mit Erfahrungen während Ihrer Geburt zusammenhängen?

Ich freue wieder mich über Ihre Rückmeldungen und Fragen?

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Fotos: Winfried Wershofen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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